5.1.21 – Bericht aus Lesvos

05.01.2021 Gelsenkirchen Bericht 1

Heute schrieb mir Thomas Osten von Sacken. Ich habe im Laufe der letzten Woche verschiedene Artikel von Thomas erhalten, die wichtiges Material sind und auch veröffentlicht werden. Alle Berichte, die ich nun von Thomas schicke zeigen die Auseinandersetzung im Lager mit ihren Erfahrungen mit NGOs.

In der FAZ erschien ein Artikel, der den ganzen Moria-Wahnsinn ungewollt auf den Punkt bringt. Da wird die Lage vor Ort aus Sicht einer jungen Freiwilligen geschildert, die auf eigene Kosten sieben Wochen vor Ort war, um „etwas sinnvolles zu tun“. Das bestand vor allem offenbar darin, dem griechischen Militär, das im Camp für die Verteilung von eher schlechtem fertigem Essen zuständig ist, zu helfen. Denn genau das tut die NGO für die sie arbeitet.

Was auf den ersten Blick großartig klingen mag, ist im Grunde völlig absurd: Warum bedarf es überhaupt NGOs, um so einen Job zu übernehmen und dafür auch noch Spendengelder auszugeben?

Eigentlich stehen genügend Gelder seitens der EU für wesentlich besseres Essen zur Verfügung und seit Jahren fordern Flüchtlinge, dass sie „Dry Food“ bekommen und selber kochen können. Das aber passte nicht ins Konzept, denn mir dieser Art von Essensausgabe machen in Griechenland seit Jahren einige Millionen und haben keinerlei Interesse, dass ihr Geschäftsmodell in Frage gestellt wird.

Weiß die junge Freiwillige überhaupt, dass sie da indirekt mit der Armee zusammengearbeitet hat? Kennt die die Diskussionen, ob es für NGOs ethisch vertretbar ist, mit Militärs zu kooperieren? Wissen ihre vermutlich pazifistisch eingestellten Freundinnen und Freunde, was sie da tat? Es klingt nicht so. (Ich bin kein fundamentaler Gegner der Idee, dass NGOs generell nicht mit Militärs kooperieren sollten, man sollte es sich in jedem Fall nur gut überlegen und abwägen). Bedarf es wirklich internationaler Freiwilliger um in einem Flüchtlingslager auf dem Boden der EU Essen zu verteilen? Auch das eine gute Frage, die sich eine FAZ-Redakteurin vielleicht mal stellen sollte, bevor sie völlig absurde Zustände so affirmativ darstellt.

Dann nämlich müsste sich sich auch fragen, wie es kommt, dass trotz der Anwesenheit von 70 NGOs und Abermillionen von gespendeten Euros sich Lage so darstellt:

„Auch die Hygiene-Situation beschreibt sie als schwierig: Im Camp gebe es noch immer kein fließendes Wasser. Die Menschen müssten deshalb auf Dixi-Klos und Eimerduschen ausweichen, berichtet Anina. Letztere könne man sich wie die mobilen Toilettenkabinen vorstellen, in denen man sich mit einem mitgebrachten Eimer mit kaltem Wasser waschen kann, um wenigstens ein bisschen Privatsphäre zu haben. Mitte Dezember konnten die Organisationen vor Ort zumindest ein paar Warmwasserduschen für das Camp realisieren: 36 für 7500 Menschen. In den Monaten zuvor habe es nur kaltes Wasser gegeben, und das trotz der fallenden Temperaturen: Ende November, Anfang Dezember liegen die Temperaturen auf Lesbos tagsüber bei etwa 15 Grad, nachts wird es deutlich kälter, ein starker Wind fegt vom Meer über das Camp. Damit jeder an die Reihe kommt, darf jede Person nur einmal pro Woche warm duschen.“

Das ist, in genau diesen Worten nur eines: Ein einziger zum Himmel schreiender Skandal. Nein, Anina beschreibt hier nicht die Realität in irgendeinem abgelegenen Camp für Binnenvertriebene irgendwo in einem afrikanischen Bürgerkriegsland, sondern Zustände mitten in Europa. Ist den Flüchtlingen wirklich damit gedient, man schaut sieben Wochen zu und verteilt ein bisschen Essen? In einem Camp, das in ihren eigenen Worten, gegen jeden Mindeststandard verstößt, den das UNHCR vorsieht? Wäre es da nicht wesentlich sinnvoller sich zu fragen, was eigentlich die Rolle von NGOs und Helfern in so einer Situation ist? Denen es gelingt in drei Monaten 36 Kübelduschen zu installieren, eine Leistung, die jede kleine Firma in zwei Wochen hingenommen hätte? Aber kein einziges Wort der Kritik an irgendeinem der Akteure, die für dieses Desaster die Verantwortung tragen, man nimmt es resigniert hin und zahlt auch noch Unterkunft und Verpflegung um Teil dieser absolut sinnlosen, auf systematische Entrechtung von Menschen fußende Elendsverwaltung zu werden um „Gutes zu tun“.

Ist es so kompliziert sich zumindest zu informieren, wie erfahrene NGOs mit einem gewissen Ethos sich verhalten, etwa Ärzte ohne Grenzen, die seit Jahren das gesamte Konzept dieser Hotspots kritisieren, statt sie wie hin zu nehmenden Naturkatastrophen zu beschreiben?

Und eine der führenden Zeitungen der Bundesrepublik ist nicht in der Lage, so etwas auch nur mit einem Satz kritisch zu hinterfragen.

Das kommt beim von mir so genannten Moria-Narrativ am Ende heraus: Man findet sich mit vollkommen unerträglichen und unnötigen, von Menschen, die es in wenigen Tagen ändern könnten, Zuständen resigniert ab und berichtet darüber, als sei irgendetwas an all dem nicht einfach nur zutiefst skandalös.

Sicher vor so einem Hintergrund erscheint es dann als großer Fortschritt, wenn 80 Kübelduschen in Betrieb sind und Menschen nur noch 45 Minuten in irgendwelchen Schlangen für kalte Pampe anstehen.

Auf den Punkt gebracht hat letztes Jahr dieses Konzept eine andere Organisation, die Gelder für Blumen eingeworben hat, mit denen sie dann den NATO-Draht, der das Zentrallager in Moria wie ein Hochsicherheitsgefängnis umspannte mit Blumen schmückte.

2. Bericht – Moria Wahnsinn – Der Rubel rollt

Während ein Kleinaktionär die Quarterly Reports der Firmen verfolgt, in die er investiert, scheint im Hilfsbusiness das naheliegende ein exotischer Schritt zu sein: Sich einfach mal die Finanzberichte der Organisationen anzuschauen, an die man so spendet. Jede einigermaßen seriöse größere NGO muss die online stellen und auch auditieren lassen. Sicher, wer die kleine, super aktive Initiative aus dem Freundeskreis unterstützt, weiß in der Regel, wo die Gelder hingehen. Bei größeren Angelegenheiten geht es dann nicht mehr um ein paar Bilder und Berichte aus erster Hand, die schreibt eh der bezahlte Profi mit PR-Ausbildung, sondern um die simple Frage, wie viel Geld in Gehälter und Administration geht und wie viel vor Ort ankommt und dort auch einigermaßen sinnvoll verwendet wird.

Natürlich ist es Aufgabe eines jeden einigermaßen talentierten Buchhalters so viele dieser Kosten irgendwo zu verstecken und zu verschleiern wie möglich, aber trotzdem lässt sich doch einiges aus diesen Berichten herauslesen.

Wenn da plötzlich enorm hohe Posten wie „Fundraising“ oder „Consultancy“ auftauchen ist Vorsicht angesagt, wenn Gehälter und Verwaltungskosten im Headquarter satt über 25% der Gesamtausgaben liegen, wenn Projektkosten völlig unübersichtlich aufgeschlüsselt sind, auch. Und ganz besonders sollten Alarmglocken schrillen, wenn sich solche Organisationen irgendwo aus Initiativen gegründet haben, über keine professionelle Expertise verfügen und auch Jahre nachdem sie zur NGO geworden sind, noch so tun, als seien sie eine dynamische von Freiwilligen getragene Veranstaltung.

Auch das haben NGOs hier in Moria zum perfekten Wahnsinn getrieben, der nur niemandem auffällt. Da verwalten sie mit Volunteers, die weder ausgebildet noch betreut werden ein Flüchtlingslager, lassen diese Volunteers Fahrt und Unterkunft selbst zahlen, um sie dann auf launigen Bildchen aus dem Camp für weitere Fundraising Aktionen abzubilden und verbreiten so den Eindruck, dass hier ein engagiertes Team ehrenamtlich Flüchtlingen hilft.

Das klingt zum Beispiel so: „On Lesvos, rotating teams of volunteers act to alleviate the ongoing human suffering of people arriving on their way to a safe haven. (…) The teams of volunteers provide their own funding; every donated euro will go straight to its purpose. (…) We work with weekly rotating teams with volunteers from all over the world who want to turn their powerless feelings into strength. “ („Because we Carry“ Homepage)

Schaut man dann in den Finanzbericht, so rechnet die selbe Organisation von den 1,2 die 2019 eingenommen Millionen satte 177.000 für Gehälter, Unterkünfte und andere Personalausgaben auf Lesbos und Samos ab. Wie kommt es, dass angeblich Volunteers alles selbst zahlen, dann aber Posten wie „Unterbringung Volunteers“ mit 40.000 € zu Buche schlagen, das sind pro Monat 3.330 Euro, damit lassen sich in Lesbos mit Nebenkosten mindestens fünf große Wohnungen mieten? Die Volunteers, das liest man auf ihren eigenen Seiten, sind aber angehalten für die acht Tage, die sie kommen Flug und ca. 1000 Euro für Unterbringung und Verpflegung selbst zu zahlen und auf ihrer Homepage wirbt die Organisation ja damit, dass keinerlei Kosten bei ihrem Freiwilligeneinsatz vor Ort anfallen.

(Dass dieses ganze Konzept wenig hilfreich ist und man mit rotierenden Trupps von unausgebildeten Freiwilligen kein Flüchtlingslager zu verwalten ist eine ganz andere Frage.)

Interessant wird es, wenn man sich in den Reporten anschaut, was die jeweiligen Gründer dieser Organisationen sich so in ihren europäischen Heimatstädten als monatliches Salär überweisen. Das sind Summen zwischen 57.000 und 80.000 Euro jährlich – laut ihren eigenen Finanzberichten, dazu kommen dubiose Posten wie „Werbungskosten“, „Fundraising“, „Consultancy“ etc.

Ein paar Beisiele: Die Organisation „Movement on the Ground“ zahlte 2019 in Amsterdam 196.856 Euro Gehälter für vier Angestellte in Amsterdam und noch einmal 62.205 Euro für einen Projektmanager in Lesbos bei Einnahmen von etwas mehr als 1,2 Millionen.

(Das sind Gehälter, die im öffentlichen Dienst in gehobener Position nach ca. 10 Jahren Berufserfahrung gezahlt werden. Nichts gegen Bezahlung für professionelle Arbeit im Hilfssektor, ich bin kein Freund des Konzepts Selbstausbeutung, aber in Amsterdam in einem Büro sitzen und 1,2 Millionen verwalten, erfordert nun wahrhaft keine 60-Stunde-Woche.)

Die Secretary General der norwegischen Organisation „Drop in the Ocean“, ebenfalls 2015 von ein paar Aktivisten gegründet, bekam 2019 ca. 81.000 Euro ausgezahlt im Finanzbericht deklariert als „benefits for senior executives“

Bei Because we carry, angeblich ganz auf Freiwilligenarbeit gestützt, zahlte man sich in 2019 110.000 Euro für die Angestellten im Büro in Amsterdam und nochmal irgendwem ein Gehalt von 52.500 für Werbungskosten.

Das sind drei der großen Organisationen, die hier seit Jahren den Laden schmeißen und das Bild von auf Freiwilligeneinsatz auf Lesbos basierendem Engagement maßgeblich prägen. Bei anderen findet man auf der Homepage nicht einmal einen einzigen Finanzreport, sie registrieren sich sicherheitshalber gleich in Griechenland, wo Auflagen weniger strikt sind und kaum kontrolliert werden.

Alle genannten Organisationen arbeiten ausschließlich in Griechenland und haben sich im Rahmen der Flüchtlingskrise 2015 gegründet. Würden die Hotspots auf den griechischen Inseln aufgelöst oder einfach in einigermaßen „normale“ Flüchtlingsunterkünfte verwandelt, fiele ihre Existenzgrundlage weg. Nur böse Stimmen behaupten nun, es gab da durchaus ein Interesse, dass es noch möglich lange so weitergeht, damit man sich diese Gehälter, Büros, geleaste Autos etc. pp. Auch weiterhin zahlen kann.

Wäre ich Freiwilliger und hätte je für so eine Organisation gearbeitet, ich fühlte mich einigermaßen ausgenutzt. Wäre ich Teil einer Organisation, die die Idee von volunteering ernst nimmt, ich würde ein paar kritische Fragen stellen. Wäre ich einer der aberhunderten Journalisten, die aus Lesbos berichten, ich glaube, ich hätte mal ein paar diesbezügliche Fragen gestellt. Aber all das ist bislang nicht geschehen und so kann es einfach weitergehen. Wäre ich Teil einer jener Organisationen auf den griechischen Inseln, die wirklich unermüdlich und oft mit eigenen Privatgeldern versuchen, etwas gegen das Elend zu tun, ich glaube ich würde versuchen, klar Distinktion zu so etwas herzustellen und auf die Differenz insistieren. (PS: Die hier zitierten Zahlen lassen sich alle in den jeweiligen Finanzberichten der Organisationen finden und sind online zugänglich.)