Dreißigste Mahnwache „Ostalb für Gaza“ – Interview mit Initiatorin Ulrike von Streit (SPD)

In Schwäbisch Gmünd findet seit Januar Woche für Woche Samstags an wechselnden zentralen Stellen die Mahnwache „Ostalb für Gaza“ statt. Solidarität International e.V. (SI) nimmt regelmäßig daran teil und unterstützt die Spendensammlung der Mahnwache mit unserem Spendenkonto „Gaza soll leben“. Armin, Sprecher der Bundesvertretung von SI, hat die Initiatorin, Ulrike von Streit (SPD), befragt.

Hallo Ulrike, du hast im Januar die Mahnwache „Ostalb für Gaza“ in Schwäbisch Gmünd ins Leben gerufen. Was hat dich dazu angetrieben?

Ich bin ein sehr politischer Mensch und konsumiere sehr viel politische Medien und politischen Content. Dort gibt es Stimmen von Politikern, NGOs oder Podcastern, die meine Meinung vertreten, z.B. für die Freiheit der Ukraine oder für eine würdige Behandlung von Geflüchteten. Aber ich konnte zu der Katastrophe der Menschen in Gaza plötzlich keine Stimme finden. Die ganzen Medien und Echokammern, die ich sonst konsumiere, waren dazu viel zu still, von Politikern meiner Partei oder auch anderen Parteien die ich gut finde, wie z.B. die Grünen, ganz zu schweigen. Ich konsumiere aber nicht nur deutsche sondern auch internationale Medien. Und dort habe ich in der englischen, renommierten Zeitung The Guardian oder auch in der israelischen Zeitung Haaretz, sogar in der New York Times so viel über das Leid der Palästinenser gelesen und auch schreckliche Kriegsbilder in den sozialen Medien gesehen, dass ich einfach nicht aushalten konnte, dass das niemand anspricht. Dass niemand sagt, dass das so nicht geht, dass das auch Menschen sind mit gleichen Rechten, gleicher Würde, die man nicht einfach so als Kollateralschaden ermorden kann auf der Suche nach Terroristen. Diese ohrenbetäubende Stille insbesondere in den ersten Monaten in Deutschland hat mich unglaublich frustriert, wütend gemacht und ich bin immer noch wütend.

Wir machen seit über 28 Wochen die Mahnwache mit bis zu 25 Teilnehmern und der Palästinenserfahne. Wir konnten inzwischen um die 1400,- EUR für die Spendenkampagne „Gaza soll leben“ überwiesen. Das drückt schon auch eine positive Resonanz auf die Mahnwache in der Bevölkerung aus. Wie siehst du das?

Ich denke, dass es viele Leute gibt, die das Leid der Palästinenser nicht kalt lässt. Ich denke, dass die Bevölkerung hier viel weiter ist als manche Politiker, ich denke viele haben Mitgefühl mit den Opfern und Betroffenen beider Seiten. Und ich habe auch den Eindruck, dass manche Leute sehr froh sind, dass mal jemand etwas sagt, auch wenn sie sich selber lieber zurückhalten. Ganz am Anfang, als ich die Spendenaktionen noch alleine gemacht habe, kamen manchmal Menschen ganz verstohlen zu mir und haben mir Geld zugesteckt und sich dann schnell wieder weg bewegt. Das hat mir richtig vor Augen geführt, wie sehr wir Deutschen uns schwer tun, aufgrund unserer Geschichte israelische Verbrechen zu benennen. Ich kann das auf der einen Seite verstehen, aber akzeptieren kann ich es nicht.

Die Ampelkoalition unterstützt Israel – mit Kritik zwar an der Kriegsführung, aber doch – bisher bedingungslos mit Waffen für eben diesen Krieg. Wer Israel kritisiert, wird als Antisemit diffamiert. Die Mahnwache hat sich mit dem amerikanischen Juden und SI-Bundesvertretungsmitglied Larry Zweig solidarisiert, der eine Anzeige bekommen hat für seine Losung „From the river to the sea“, was er ausführte, dass alle Völker in Frieden ohne Grenzen in dem Gebiet zusammenleben sollen. Außerdem haben wir die Petition des Deutschen Koordinierungsrats (KoPI) „Für einen gerechten Frieden in Gaza – Waffenexporte stoppen, Hilfsblockade beenden“ unterstützt. Um wirklich etwas zu bewegen, ist wohl mehr Widerstand notwendig?

Ich persönlich bin niemand, der sich auf die Straße klebt. Ich habe zwei Kinder und einen Vollzeitjob, ich kann und will mir nicht jede politische Aktion leisten. Aber ich habe großen Respekt vor Organisationen wie Jewish Voices for Peace, If not now oder Rabbis4ceasefire, die in den USA sehr öffentlich wirksame und beeindruckende Blockaden und Aktionen gemacht haben. Genauso wie die Angehörigen der Geiseln in Israel, die immer wieder auch gegen Polizeigewalt auf das Schicksal ihre Angehörigen aufmerksam machen. Ich glaube, es gibt international genügend Widerstand im Sinne eines zivilen Ungehorsams und es gibt ein neues Verständnis für die palästinensische Situation. Und ziviler Ungehorsam kann die einzige Lösung sein, Gewalt als Mittel des Widerstands führt nur in den Abgrund, gegen den man protestiert. Bis jetzt hat es leider trotzdem noch nichts genutzt, wobei ich das Gefühl habe, dass der Druck in Israel auf die Regierung im Moment so groß wird, dass er vielleicht den Durchbruch zum Waffenstillstand bringt, weil er sich auch mit der politischen Opposition verbindet. Vielleicht ist es auch falsch zu sagen, dass es nichts genutzt hat, genauso wie man unsere Mahnwache nicht als nichts abtun kann. Allein schon, dass man für die Palästinenser und die Geiseln einsteht und auf sie aufmerksam macht, hat schon einen Effekt finde ich, als würde man versuchen aus der Ferne ihre Würde hochzuhalten. Und wenn der Effekt auch nur der ist, dass man sich selbst noch im Spiegel anschauen kann.

Solidarität International e.V. „will Brücken bauen zwischen den Völkern über Ländergrenzen hinweg,“ schreiben wir in unserem Programm. Es gibt Menschen auf beiden Seiten, Juden und Palästinenser, die genau dies versuchen und die Mitgefühl für die jeweils andere Seite entwickeln. Das spielt auch auf der Mahnwache immer wieder eine Rolle. Wie kann dieser Brückenbau deiner Meinung nach funktionieren?

Als nicht betroffene Person, weder israelisch noch palästinensisch, habe ich hier natürlich leicht reden und muss mich grundsätzlich mit Ratschlägen zurückhalten, denke ich. Aber bezogen auf den Diskurs, wie er auch in Deutschland geführt wird, und einfach völlig unzureichend geführt wird, denke ich, dass die Ausgangsposition immer sein muss, den anderen als Mensch anzuerkennen. Ich glaube, wenn man sehr viel Leid erlebt hat, das von Personen der anderen Seite ausging, ist es schwer, nicht einen unbändigen Hass auf grundsätzlich alles zu empfinden, was die andere Seite repräsentiert. Aber man muss dieses animalische Gefühl von Rachsucht überwinden, und die guten Menschen auf der anderen Seite suchen und finden, die es natürlich gibt. Und irgendwann kann man dann vielleicht auch das Leid der anderen Seite anerkennen und die Verzweiflung, Angst und Wut auf der anderen Seite sehen und dann ist es vielleicht kein so großer Schritt mehr die Auswegslosigkeit und Nutzlosigkeit der Gewaltspirale zu erkennen und für die eigenen Kinder zu beenden.

Vielen Dank für das Interview.