Über zwei Tage lockte das von der Stadt organisierte Internationale Fest am ersten Juli-Wochenende Tausende Besucher in die Aalener Innenstadt.
Würdig und mit Kritik am alten und neuen Kolonialismus
Im offiziellen Teil wurde der Manga-Bell-Platz in Aalen im Gedenken und als Mahnung festlich eingeweiht. Eine große Delegation war angereist, darunter auch direkte Nachfahren von Rudolf Manga-Bell und der Stammeshäuptling, mitsamt seinem ihm nachfolgenden Prinzen, der am Schluss nach einem Gespräch mit uns mit dem SI-Emblem an seinem prächtigen Gewand vom Platz ging.
Rudolf Manga-Bell ging in Aalen zur Schule und wurde nach seiner Rückkehr nach Kamerun König der Duala. Er arbeitete eng mit den deutschen Kolonialherren zusammen, nachdem diese garantiert hatten, dass die Afrikaner ihren Handel eigenständig betreiben konnten.
1910 wurden aber die Duala vertrieben und Afrikaner sollten in dem Küstenstreifen nur noch als Arbeiter Zutritt haben. Im Auftrag der Hamburger Handelsfirmen Jantzen & Thormählen und C.Woermann wurden die Duala verfolgt und vertrieben, Hunderte Afrikaner wurden ermordet. Das gewinnbringende und florierende Geschäft mit Palmöl, Elfenbein und Kautschuk sollte so abgesichert werden.
Rudolf Manga-Bell forderte bei den Kolonialherren die Einhaltung des anfangs geschlossenen Vertrages, schickte einen Gesandten nach Berlin, wo der SPD-Abgeordnete August Bebel eine Reichstagsdebatte über die Zustände erreichte.
Am 8.August 1914 wurden Manga-Bell und sein Gesandter Adolf Ngoso von der deutschen Kolonialverwaltung wegen Hochverrats verurteilt und in Duala hingerichtet.
Manga-Bell zu rehabilitieren und seine Geschichte als Mahnung in der heutigen Situation zu verstehen war überfällig, denn bis heute wird Manga-Bell in Kamerun wie ein Held verehrt, weil er sich mutig den Kolonialherren entgegengestellt hat.
Kasten:
Filmtipp zum Thema:
„Der vermessene Mensch“
zum Völkermord der deutschen
Kolonialherren an den
Herero und Nama im heutigen
Namibia
Beitrag dazu in der zdf-mediathek
abrufbar
Film basiert auf dem Roman
von Uwe Timm „Morenga“
Bunt und jung
Mit doppelt so vielen Ständen wie letztes Jahr war nahezu jede migrantische Community mit großem Einsatz vertreten. Bei den Verpflegungsständen konnte man ich einmal quer über den Erdball verköstigen: Spezialitäten aus Mazedonien, Sri Lanka, Kroatien, aus Anatolien oder Italien und vielen anderen mehr wurden angeboten. Einzig ein älterer Mann, der nach einer Bratwurst suchte, wurde enttäuscht … . Auffällig viele Jugendliche waren an den internationalen Ständen eingebunden und packten tatkräftig mit an.
Das Festprogramm konnte sich ebenfalls sehen lassen. Wer sich ein Folklore-Festival vorgestellt hatte sah sich kurdischem Rap, sri-lankischen Tanzgruppen und afrikanischen Trommelrhythmen konfrontiert. Jung und alt konnten sich wiederfinden und manch politische Botschaft wurde dabei auch noch übermittelt: Gegen den Krieg in der Ukraine, für die Hilfe im Erdbebengebiet in der Türkei und Syrien und gegen rassistische oder anderweitige Diskriminierung.
Solidarisch mit den Erdbebenopfern in der Partnerstadt Antakya
Um den Stand des Antakya-Vereins bildeten sich wahre Menschentrauben, denn der gesamte Erlös aus dem Essensverkaufs ging direkt an den Bürgermeister von Antakya in der Provinz Hatay. Antakya ist nach dem Erdbeben im Februar zu 85 % zerstört und die Menschen werden durch die Regierung Erdogan nur äußerst notdürftig versorgt, denn in dieser Gegend hat Erdogan nur wenig Unterstützung. Dagegen werden Vertreter der Opposition dort auch in der jetzigen humanitären Katastrophe erbittert bekämpft, eingesperrt, verfolgt oder sogar umgebracht.
Deshalb war es nicht verwunderlich, dass sehr viele Festbesucher auf eine „bewusste Ernährung“ aus waren und sich an diesem Stand verköstigt haben.
Gegenüber war ein Künstler mit seinen Holzbrenn-Arbeiten aus Antakya (dem biblischen Antiochien) angereist. Er hat nahezu seine ganze Familie durch das Erdbeben verloren und widmete ebenfalls seine gesamten Einkünfte der Erdbebenhilfe.
SI: Selbstbewusster Teil des Ganzen
Mit unserem bunten, vielfältigen Stand kamen wir sehr gut mit den Festbesuchern ins Gespräch. Eine Familie erklärte nach eingehender Beratung direkt beim Fest ihre Mitgliedschaft in SI, nachdem sie sich zu den Prinzipien und dem Verhältnis von SI zu Nazis vergewissert hatte. Sieben weitere Interessierte wollen weiter zu Veranstaltungen eingeladen werden. Gut, dass wir unsere Jahresplanung mitgenommen hatten … . Sehr gut auch der Verkauf von Büchern im Wert von 217,95 € bei unserem Stand, vor allem zu den Themen Flucht und Frauen.
Besondere Aufmerksamkeit erregte die Broschüre „Jetzt reden wir“. Sie ist die Dokumentation des Tribunals „Angeklagt“ mit dem Gesicht des kamerunischen Flüchtlings Alassa Mfouapon auf dem Titelbild. Das passte wie die Faust aufs Auge zur Rehabilitierung von Rudolf Manga-Bell, wo wir unseren Stand direkt neben dem der Stammes-Delegation aus Kamerun hatten.
Ein SI-Hoodie wechselte ebenfalls seinen Besitzer. Wie es sich herausstellte, war es ein junger Regisseur aus Los Angeles, der vom Stammeshäuptling aus Kamerun nach Aalen eingeladen worden war und einen Dokumentarfilm über das Leben und Schicksal von Manga-Bell dreht. Er war sichtlich beeindruckt von unserem Programm und unseren Prinzipien: Das hätte er noch nirgendwo so gehört und es wäre die richtige Antwort auf die oft verlogene Hilfe, wo sich Gewinnler aus dem System mit ihren Charity-Shows noch als große Menschenfreunde im Licht ihrer inszenierten Humanität sonnen würden.
Dass schließlich ein Poncho aus Peru noch in Kamerun landete ist nochmals eine extra Geschichte.
Insgesamt war der Stand von SI bei diesem internationalen Fest goldrichtig. Wir haben viele neue Verbindungen geschaffen und erhielten u.a. eine Einladung über das kommunale Projekt Utopia. Wir sollen da Bücher vorstellen, die sich kritisch mit der Situation zu Flucht und internationaler Hilfe auseinandersetzen.
Neben SI war nur ein weiterer deutscher Verein auf dem Fest: Der Verein Nepalhilfe, der ein erdbebensicheres nepalesisches Haus auf dem Spritzenhausplatz aufgebaut hatte und um Spenden für den weiteren Ausbau einer Schule in Nepal bat. Eine anwesende nepalesische Delegation war zuvor von der Stadt empfangen worden. Mit der Vereinsvorsitzenden haben wir jetzt losen Kontakt und haben Informationsaustausch vereinbart und auch der afrikanische Kulturverein ist an Austausch interessiert. Das fordert von uns jetzt, diese Kontakte zu pflegen und auszubauen, die Buchvorstellung bei Utopia weiter zu verfolgen und v.a. unsere neuen Interessierten und Mitglieder zu informieren und auf Wunsch einzubinden.
So gesehen ist das Fest für uns noch nicht vorbei … .
Renate RG Ostalb